Unser Selbstbild – eine tief greifende Illusion?

Inspiriert durch einen Vortrag von Franz Rupert zum Thema Konfliktlösungen, möchte ich einiges zum Thema Selbstbild und seiner Funktion aufschreiben. Manches davon klingt vielleicht beim ersten Lesen „verrückt“ … aber Sie wissen ja, einfach mal ausprobieren und wahrnehmen, was passiert.

 

Die Hauptthese lautet:

Jeder von uns hat eine Art Idee davon, wer wir sind (das Selbstbild). Dieses Selbstbild wechselt  – beeinflusst von z.B. Zuständen und Situationen.

Franz Rupert nennt das Selbstbild eine geschönte Propagandaversion unserer Persönlichkeit (unseres Charakters). Es zeigt nicht, was wir sind, sondern eher wie wir uns sehen wollen! Es ist quasi eine idealisierte Selbsttäuschung.

 

Es hat u.a. folgende Funktionen:

 

1.  Es zeigt uns nicht die Wahrheit, sondern soll uns helfen, mit uns zu leben. Es verhilft uns dazu, uns zu mögen (Aspekt der Versöhnung). Verachtung und Schmerz – meist eigener-  werden kompensiert.

2.  Unangenehmes/ Abgelehntes wird massiv ausgeblendet
(Formulierung: Ich bin auf keinen Fall … X, Y oder Z.). Hier wird deutlich, dass das Selbstbild eine Art Hinweis auf fehlende Selbstakzeptanz ist.

3.  Insbesondere bremsende Ambivalenzen/ Unstimmigkeiten  werden ausgeblendet (Folge : Wir fühlen uns gut – das schafft Empowerment im Alltag – wir bleiben handlungsfähig).

 

4.  Skrupel im eigenen Vorgehen (z.B. in Beziehungen)  werden auf ein Minimum reduziert. Auch hier geht es um Handlungsfähigkeit, aber auch die Beziehungsfähigkeit wird deutlich.

5.  (Eigene) Lebenslügen werden ständig wiederholt und so zu einer Art Fortschreibung (meist geht es um Fremdzuschreibungen), was und wer wir sind (stellen Sie sich vor, wir wären – in Maßen – immer „frische Persönlichkeiten“?).  Oder wir wären in der Lage uns so wahrzunehmen, wer oder besser wie wir sind …

 

Kurios finde ich die Unterthese, dass das Selbstbild umso verzerrter, ja täuschender ist, je besser (Position, Stellung, Verantwortung) es uns geht. Es gibt eine Untersuchung, in der Uniprofessoren gefragt wurden, in welche Gesellschaftsstufe sie sich selbst einordnen würden. 60-70% zählen sich dabei zu den 1% Bedeutesten der Gesellschaft. Unglaublich, nicht wahr?

 

Wir scheinen eher in Krisen, Krankheiten und Konflikten dazu zu neigen, unser Selbstbild ein wenig realistischer zu konstruieren. Also, wenn das übliche Selbstbild leidet, nähern wir uns der Wirklichkeit an … werden vielleicht ein wenig durchlässiger für das Wesen, unsere Berufung oder wie die Systemiker meinen: Wir werden zu einem offeneren System …

 

Für BeziehungstheoretikerInnen unter noch ein „Nachschlag“ zum Nachsinnen:

Wenn die Person (die wir aufgrund unseres Selbstbildes darstellen) geliebt, geachtet usw. wird, dann ist oft (unbewusste) Verachtung die Folge. Und zwar Verachtung durch denjenigen, der ich wirklich bin.

 

 

Fazit:

Die Frage: Wer oder was sind wir wirklich bleibt uns erhalten. Ich hoffe, mein kleiner Beitrag bringt Sie in Bewegung. Mich haben die Ideen dazu eingeladen, eher nicht mehr so viel zu glauben, wie ich bin – mich viel leidenschaftsloser (im doppelten Sinne) wahrzunehmen. Ernüchternd, spannend, belebend … und vieles andere mehr.

 

 

Ihnen ein frohes (aber nicht ideales) Weihnachtsfest 2008.

 

Freue mich auf Ihre Ideen in den Kommentaren …

 

Jürgen Weist

 

 

P.s. Im Businessbereich ist die o.a. Qualität gerade unter dem Begriff „Self-Deception“ in Mode gekommen.

P.s.s:    Ein Bild dazwischen …

Während ich von mir träumte,
was ich nie sein sollte,
schließe ich die Augen weit,
um ja nicht mich zu sehen,
wer ich wirklich wie bin …

 

 

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