30.07.2006
Unwohlfühlen als Leit-Gefühl?
Oder Spiritualität als Wissen um das, was richtig für uns ist …
(Text inspiriert durch das Buch Sinnfindung im Beruf von Gregor Wilbers, das ich Ihnen von Herzen empfehle …)
Ich möchte mit drei selbst erlebten Episoden beginnen:
1. Vor Kurzem gingen zwei jüngere Männer vor mir her, sich über den Urlaub unterhaltend: „Du“,sagte der eine zum anderen, „geht es dir manchmal auch so, ich habe diesmal nach dem Urlaub zwei Wochen gebraucht, um mich wieder ins Arbeitsleben einzufinden und mich diese zwei Wochen ziemlich blöd gefühlt, war total ohne Lust und wäre am liebsten gleich wieder in Urlaub gefahren.“
2. Nach unserem ersten dreiwöchigen Thailandurlaub im Frühjahr 2006 war meine Frau zirka vier Wochen leicht depressiv. Meine große Tochter war völlig aufgelöst: „Was ist denn bloß mit Mama los; ich bin dafür, dass ihr nie wieder nach Thailand fahrt.“
3. Mich erreichte vor kurzem eine Mail eines Mentees mit ungefähr dem folgenden Inhalt: Mit geht es gut, ich habe einen tollen Partner, der mich liebt, einen neuen guten Job in Aussicht, alles um mich herum ist klasse. Ich müsste eigentlich total glücklich sein, bin es aber nicht. Ganz im Gegenteil, meine Stimmung ist eher niedergeschlagen usw.
Ich möchte Ihnen heute von etwas berichten, was mich im vorletzten Urlaub hat weinen lassen und was ich seinerzeit als Verrat an meiner Seele taufte. Etwas, das insbesondere dann ans Tageslicht kommt, wenn wir uns gerade nicht so „beherrschen“, „zusammenreißen“ oder uns willentlich „überwinden“.
Es geht um ein ausgeprägtes Gefühl des eigentlich Nicht-Wollens (das sich lange genug geübt auch mal als Mattigkeit, als Angespanntheit und Kraftlosigkeit zeigt), das seinen Ursprung (so behaupte ich) in unserer Seele, unserem Wesensgrund hat.
Dieses Gefühl hat eine tiefe Bedeutung: Wir sollen es nicht überwinden, sondern ihm folgen, es ist kein sentimentales Etwas in uns, sondern unser wahres Selbst, und wir haben es bislang als störend, bestenfalls wehleidig wahrgenommen: Ja, wir würden ja gerne, …aber es geht nicht. (aufgrund der Umstände, Verpflichtungen usw.)
Das ist ja nicht falsch, jedoch keinesfalls richtig. In vielen Fällen ist dieses ewige „Keine-Zeit-haben“, in Sach-Zwängen-Leben“ und „Zu-viel-Arbeiten-Müssen“ nichts anders als die Flucht vor sich selbst (in Ausnahmefällen entstehen dann die o.a. Urlaubsgefühle …).
Und so gelingt es uns selbst und anderen zu versichern, das man ja gerne anders würde, wenn es die Umstände zulassen würden. Man nickt sich dann gegenseitig zu, schließlich lebt man ja nicht in einer Welt, in man so kann, wie man will. Das kann man sich zu Hause noch liebevoll bestätigen lassen, und man fühlt sich dann insgesamt anerkannt, geliebt und verstanden.
Und doch ist es nichts anders als Selbstbetrug, das Selbst ist wieder einmal zu kurz gekommen, wurde gemeinschaftlich erstickt, und es schweigt wie ein Kind, das einfach nur sein Bestes geben will, aber immer wieder in die Ecke gestellt worden ist, weil sein Benehmen nicht gepasst hat. Am nächsten Morgen versucht es unverzagt sein Glück aufs Neue. Auch diesmal wird ihm nicht zugehört, und es geht den ganzen Tag so. Irgendwann verliert es sich dann selbst und lebt nur noch angepasst in den schematisierten Tag hinein, die schematisierte Woche, das schematisierte jahr, das schematisierte Leben.
Oft nehmen wir es dann gar nicht mehr wahr, sei es, dass es sich in manch losgelösten Momenten doch noch mal zeigt, kurz aufleuchtet: als origneller Witz im Gespräch, als stiller Ruf im Urlaub oder in der Unlust danach, als Sehnsucht, die trotz allem materieller Sicherheit bleibt usw. – und dann ist es auch schon wieder vorbei. Schade um das verpasste Leben, aber Hauptsache, wir haben es zu etwas gebracht.
Diejenigen, die sich matt fühlen, unzufrieden sind, jeden Tag neu überwinden müssen, die nicht mehr wollen, die angespannt oder kraftlos sind, sind ihrem Wesen oft am nächsten. Die meisten von uns haben solche Phasen. Manchmal ertappe ich mich dabei, wie ich Menschen, die z.B. gerade eine depressive Phase haben, sage, dass es möglicherweise Zeichen für Ihre Gesundheit ist … (verrückt, oder?).
Diese Gefühle und Anzeichen sind keine schlechte Zeichen, wenn wir auf sie hören, uns von unserem Besitzdenken lösen, aufhören uns selbst zu belügen, aufhören zu glauben, wir müssten ja auf die Meinung anderer unbedingt Rücksicht nehmen.
Damit ist kein narzisstisches oder egoistisches Austeigertum (nach der Devise: Ihr könnt mich alle mal) gemeint. Gemeint ist: das Loslassen des ständigen Wollens und Müssens und das Zulassen unserer inneren Kraft, die für uns arbeitet, die uns dienen, nicht ablenken will, die viel mehr weiß als unser Verstand und der wir nur zu folgen brauchen – sie wird uns sicher zum Ziel bringen.
Das nennt Gregor Wilbers Spiritualität. Das Nicht-mehr Wollen als Befreiung zu erleben, seine Wünsche als wichtige Gedanken anzusehen, als Teil von sich selbst und dann loszulassen in dem Wissen, dass alles zu unserem Guten geschieht. Nichts geschieht zufällig, alles hat einen tieferen Sinn (für Skeptiker:Sie glauben nicht daran – testen Sie die Idee eine Woche lang!) Also es geht nicht darum, am Wegesrand passiv darauf zu warten, dass etwas irgendwie passiert – nein, oder besser ja, es geht darum, seiner eigenen Berufung zu folgen. Denn wo können wir (im weitesten Sinne) erfolgreicher sein, als dort, wofür unser Herz schlägt. Sich dem Leben anzuvertrauen, uns sicher aufgehoben zu fühlen: Inwieweit wir uns anvertrauen, darin sind wir frei und darin liegt auch unsere wahre Verantwortung.
Eine wichtige Voraussetzung dafür ist u.a., dass wir mit uns in Kontakt sind, nicht an den Ängsten der Vergangenheit oder den Sorgen der Zukunft kleben. Der Verstand ist dann am sinnvollsten verwandt, wenn wir mit ihm ganz im Moment sind, jetzt da sind und wahrnehmen was ist. Wie las ich letztens so treffend: Das Paradies ist, wenn wir im Jetzt ganz anwesend sind. Ob im normalen Alltag, der Meditation oder sonstwie – gönnen Sie sich (mehr) wesentliche Zeit.
Denn nur im Jetzt findet Wahrheit statt, alles andere ist entweder vergangen oder zukünftig. Es ist ein Segen, so schreibt Wilbers, es braucht uns keine Angst zu machen. Wir brauchen nur da zu sein, wo wir gerade sind, nirgendwo sonst. Es ist, als ob uns jemand sagen wollte: Genug, du hast dich genug gesorgt und angestrengt, halte inne, du brauchst nicht mehr zu tun, als die Zeit, die du verantwortest, den jetzigen Augenblick. Und der wird dir geschenkt, wenn du ihm voll vertraust – dann bist du gut aufgehoben. Das kann eine unheimliche Befreiung sein, wenn wir bis jetzt glaubten, unser Leben hänge von unserem Willen ab. Das ist Allmachtsglaube, der im Leben viel Unglück anrichten kann oder wie der Dalai Lama mal sagte, es wäre gut, wenn wir unseren Willen für den Notfall reservieren würden.
Ich wünsche Ihnen eine entspannte Zeit … mit viel Kontakt zu sich selbst.
Herzlichst
Jürgen Weist
Jürgen Weist, 30. Juli 2006, Allgemeines