26.02.2003
„Sich zusammen-reißen …“
Ausdehnung und zusammenziehen ( wie z.B. beim Atmen) sind Grundrhythmen des Lebendigen.
Wenn da nicht folgendes sein könnte …?
Stellen Sie sich vor, Sie seien Kommandant eines Forts im Wilden Westen. Ein Angriff der feindlichen Indianer steht unmittelbar bevor. Wie wäre Ihre Taktik, Ihre Strategie ? Würden Sie Kundschafter aussenden, die Wachtürme und Palisaden besetzen ? Wie würden Sie vorgehen ? Und dann kommen sie …und entern die Palisaden. Was würden Sie dann tun ? Ihre Soldaten in der Mitte des inneren Platzes sammeln, die Blockhütte besetzen, oder sich mit den Überlebenden in einem Erdversteck verschanzen ? Lassen Sie doch einmal Ihrer Phantasie freien Lauf. Wo würde Sie wie welche Verteidigungslinie errichten und wie wäre es, wenn Sie diese nicht halten könnten. Wie gingen Sie vor bzw. organisieren Ihren Rückzug.
Okay werden Sie vielleicht fragen, was soll das ? Nehmen wir doch einmal für einen Moment an, unsere Psyche würde sich ähnlich verhalten. Da ist eine Bedrohung aus der Umwelt, Schaden, Verletzung – Schmerz droht. Oft organisieren wir über Kontraktion ( sich zusammenziehen) eine Art Barriere zwischen uns und der Störung.
Meist dort, wo wir uns leicht verteidigen können. Ist die Störung ( Krankheit, Angriff etc.) dann schwächer als die Barriere – okay. Wenn nicht, ziehen wir uns weiter in uns zurück und errichten neue Hemmungen zum Schutz. Wie der Kommandant des Fortes verlieren wir dann allerdings die Einflussnahme des Raumes jenseits der Schutzmauer ( der Raum um das Fort gehört dann den Indianern). Und noch viel dramatischer, was ist, wenn wir uns seit Jahren in der Blockhütte verschanzen, ohne zu prüfen, ob noch Indianer da sind (…Quatschi sagen sie möglicherweise, nein, Sie kennen alle die Geschichten über die Japanischen Soldaten, die noch dreißig Jahre nach dem II. Weltkrieg durch den Dschungel irrten).
Das lateinische Wort angus (zusammenziehen) ist sozusagen die Mutter des Wortes Angst. Bei Angst ist es für die meisten von uns noch klar. Ich möchte heute noch einen Schritt weiter gehen … mit folgender Hypothese:
egal wie, wenn wir in der materiellen Welt mit etwas in Kontakt treten, müssen wir muskulär und zellulär kontrahieren, um uns und das Objekt außerhalb von uns als fest und massiv wahrzunehmen.
Sie sitzen gerade ? Spüren Sie doch einmal fein hin, spüren Sie die Anspannung im Gesäß und Rücken ? Die (Ab)grenzung zwischen dem, was Sie für Ihr Sitzfleisch halten und dem Stuhl halten. Berühren Sie doch mal mit den Fingerspitzen etwas so dezent, so leicht, dass keine Kontraktion entsteht. Ich z.B. kann dann zwischen dem Berührten und dem Berührenden nicht mehr so gut unterscheiden.
Was möchte ich damit andeuten ? Es geht um die Art (im Sinne von Kunst) von Entspanntheit, mit der ein Tai Chi-Meister jemand nur leicht berührend besiegt. Eine Erklärung für Phänomene wie Levitation und Feuerlaufen.
Übertragen Sie dieses Phänomen doch mal auf den Bereich von Kommunikation und Beratung. Meine Phantasie ist, das dann fast so was wie mediale Fähigkeiten entstünden. Kennen Sie das: … es klingelt am Telefon und Sie wissen schon, wer genau dran ist. Zwillinge ( zwischen denen nicht so viele Grenzen gibt) spüren oft, wenn es dem anderen nicht so gut geht und vieles andere mehr.
Ich nenne das direktes Gewahrsein und es erklärt für mich manches. Und ich meine, es beinhaltet eine großartige Chance. Wenn wir so entspannt und gewahr miteinander in Kontakt sein könnten – dann entsteht etwas, das etwas bewirkt, ohne das wir etwas absichtlich etwas tun. Im Tao nennt man das Nicht-Tun. Nicht der Aikidomeister wirft den Angreifer … es wirft ihn oder anders der Angreifer wirft sich selbst. Es entsteht ein Kontakt ( das Wort bedeutet übrigens berührt werden und berührt werden – gleichzeitig) auf Bewusstseinsebene, lange bevor etwas ( z.B. Aggression) in Gedanken, Worte und Handlungen fließen. Ich habe mal einen Film über zwei Kendo-Meister gesehen, die sich minutenlang unbewegt gegenüberstanden. Ein jeder wartete ( so der Kommentator) auf die Lücke im Bewusstsein des anderen, in die dann das Schwert hineinfallen würde.
Auf dieser Begegnungsebene , dieser Dimension des Seins entsteht ein ganz anderer Lebensstrom. Das KI ( auch Prana, Chi, Vitalkraft genannt ) fließt. Kontakt findet kernorientiert und dadurch befriedigender statt. Wir entwickeln die Einheit von Körper und Geist und erreichen nach Ken Wilber die Ebene des Zentauren. Wir erleben dann die Fülle des Menschseins und sind bereit für den nächsten Lernschritt in Richtung Wachstum.
So oder vielleicht doch ganz anders ;-)))
Jürgen Weist, 26. Februar 2003, Allgemeines