13.04.2003
Depression – manchmal eine sinnvolle „LeidenSchaft“
Heute am 9. April 2003 lautet eine aktuelle Wirtschafts-Schlagzeile des Hamburger Abendblatts „Deutschland kurz vor der Rezession“. Das Wort Rezession stammt vom lat. recedere (Zurückweichen) ab. Vertieft sich eine Rezession, so entsteht eine Depression ( lat. depressio – niedergedrückt, entmutigt).
Wobei eher deutlich wird, dass man Maßnahmen gegen eine mögliche wirtschaftliche Rezession bzw. Depression treffen will. Billiglöhne, Abbau von Sozialleistungen, Kündigungsschutz – alles das sind ja Begriffe, die dato in aller Munde sind.
Was ist den eigentlich dran, an dem Mythos des „Bösartigen“ ? Ist eine Rezession bzw. Depression so schlecht, so dass dagegen angegangen, ja gekämpft werden müsste? Wie muss jemand denken und fühlen, um eine solche Einstellung zu entwickeln. Was ist es, dass dann möglicherweise abgewehrt oder verdrängt wird ?
Gemeint ist ein Raum jenseits einer tiefgreifenden Erkrankung, zu der auch andere Gefühle wie Ärger, Eifersucht, Neid, Trauer, Liebe, ja sogar Zufriedenheit führen können. Könnte es nicht paradoxerweise so sein, dass gerade das Nichtausleben der Gefühle die Quelle von Krankheiten ( affektiven Störungen) ist ?
Vielleicht ist ja eine Rezession oder Depression, im wirtschaftlichen oder gefühlsmäßigen Sinne, etwas, das es nicht abzulehnen, sondern anzunehmen und zu nutzen gilt ?
Möglicherweise ist ja eine Entwicklung, die so benannt wird, ein Signal ( der Seele), eine systemische Bewegung, die darauf hinweist, das:
• bestehende (Ich)Strukturen erneuert werden müssten,
• etwas lebensfeindlich und unerträglich geworden ist,
• es einen inneren Veränderungsbedarf gibt ( Werte, Einstellungen etc.).
Robert Solomon in seinem Buch „ Gefühle“ beschreibt, dass eine Depression das entschlossenste Bemühen sein kann, radikale Zweifel an uns und unserem Leben zu öffnen und jene Offenheit bewirken kann, aus der sich in neu erwachsenen Selbstbewusstsein klare Entscheidungen ergeben können.
Ob einzelne oder die Gesellschaft: vielleicht sind Rückzug, defensive Distanz, Zweifel, Innenausrichtung, Umkippen einer Art Überlegenheit ( das Wort hat mit Denken zu tun) in eine Art Minderwertigkeitserleben ( auch hier schwingt Beurteilung mit) gute Mittel, um aus erstarrten Wertgefügen, aus fraglos übernommen bzw. überholten Aufgaben oder versteinerten Beziehungen auszubrechen. Der Schmerz kann uns zu der Erkenntnis führen, dass wir nicht mehr an alten Strukturen festhalten können.
Wie auch immer … ich bin zutiefst davon überzeugt, dass in dem rechten (angemessenen, kultivierten) Umgang mit einer Depression großes Entwicklungspotenzial steckt!
Jürgen Weist, 13. April 2003, Allgemeines