Depression – manchmal eine sinnvolle „LeidenSchaft“

Heute am 9. April 2003 lautet eine aktuelle Wirtschafts-Schlagzeile des Hamburger Abendblatts „Deutschland kurz vor der Rezession“. Das Wort Rezession stammt vom lat. recedere (Zurückweichen) ab. Vertieft sich eine Rezession, so entsteht eine Depression ( lat. depressio – niedergedrückt, entmutigt).

Wobei eher deutlich wird, dass man Maßnahmen gegen eine mögliche wirtschaftliche Rezession bzw. Depression treffen will. Billiglöhne, Abbau von Sozialleistungen, Kündigungsschutz – alles das sind ja Begriffe, die dato in aller Munde sind.

Was ist den eigentlich dran, an dem Mythos des „Bösartigen“ ? Ist eine Rezession bzw. Depression so schlecht, so dass dagegen angegangen, ja gekämpft werden müsste? Wie muss jemand denken und fühlen, um eine solche Einstellung zu entwickeln. Was ist es, dass dann möglicherweise abgewehrt oder verdrängt wird ?

Gemeint ist ein Raum jenseits einer tiefgreifenden Erkrankung, zu der auch andere Gefühle wie Ärger, Eifersucht, Neid, Trauer, Liebe, ja sogar Zufriedenheit führen können. Könnte es nicht paradoxerweise so sein, dass gerade das Nichtausleben der Gefühle die Quelle von Krankheiten ( affektiven Störungen) ist ?

Vielleicht ist ja eine Rezession oder Depression, im wirtschaftlichen oder gefühlsmäßigen Sinne, etwas, das es nicht abzulehnen, sondern anzunehmen und zu nutzen gilt ?

Möglicherweise ist ja eine Entwicklung, die so benannt wird, ein Signal ( der Seele), eine systemische Bewegung, die darauf hinweist, das:

• bestehende (Ich)Strukturen erneuert werden müssten,
• etwas lebensfeindlich und unerträglich geworden ist,
• es einen inneren Veränderungsbedarf gibt ( Werte, Einstellungen etc.).

Robert Solomon in seinem Buch „ Gefühle“ beschreibt, dass eine Depression das entschlossenste Bemühen sein kann, radikale Zweifel an uns und unserem Leben zu öffnen und jene Offenheit bewirken kann, aus der sich in neu erwachsenen Selbstbewusstsein klare Entscheidungen ergeben können.

Ob einzelne oder die Gesellschaft: vielleicht sind Rückzug, defensive Distanz, Zweifel, Innenausrichtung, Umkippen einer Art Überlegenheit ( das Wort hat mit Denken zu tun) in eine Art Minderwertigkeitserleben ( auch hier schwingt Beurteilung mit) gute Mittel, um aus erstarrten Wertgefügen, aus fraglos übernommen bzw. überholten Aufgaben oder versteinerten Beziehungen auszubrechen. Der Schmerz kann uns zu der Erkenntnis führen, dass wir nicht mehr an alten Strukturen festhalten können.

Wie auch immer … ich bin zutiefst davon überzeugt, dass in dem rechten (angemessenen, kultivierten) Umgang mit einer Depression großes Entwicklungspotenzial steckt!

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Kann man mit ohne Entscheidungen leben ?

Inspiriert durch zwei Texte von Martin Buber und Kenjiro Yoshigaski bewegt mich im Moment die Frage, wie ein Leben ohne Ent-SCHEIDUNG wäre. Vorab die Antwort einer meiner Mentees ( Hallo Sabine), die dann lapidar sagte:“ ja, dann macht man das einfach so“!

Zitat Martin Buber:“ solange der Mensch das Selbst als Objekt wahrnimmt, ist er keine Einheit. Dieses Einswerden ist die Vorbedingung wirklicher Entscheidungen. Eine Entscheidung, die nur von einem Teil des Menschen getroffen wird, ist keine echte Entscheidung“:

Zitat Kenjiro Yoshigasaki:“ wenn man versteht, dass man leben kann, ohne Ent- scheidungen zu treffen, spürt man Entspannung und Freiheit. Man entspannt, weil es keine Konflikte zwischen Handlungen gibt. Man ist frei von Entscheidungen, weil man nichts mehr entscheiden muss. Diesen Zustand nennt man normalerweise Erleuchtung“.

Yoshigasaki empfielt dann auch sinngemäß, dass zu sagen, was man tut und nicht mehr zu tun, was man sagt. So ähnlich hat es schon Alfred –Stiellau-Pallas formuliert, als er sagte:“ Glück ist, wenn du bekommst, was du willst – Erfüllung ist, wenn du willst, was du bekommst“.

Um das annähernd leben zu können, macht das „sich gut fühlen“ plötzlich doppelten Sinn. Es braucht eine offene Wahrnehmung insbesondere mit sich selbst. Und ein ganzes ausgeprägtes „bei sich sein“, was ich oft Meditation im Alltag nenne. Jetzt in diesem Moment hier ganz bei mir zu sein und gleichzeitig die Umwelt wahrzunehmen ist das, was die Japaner „Muga“ nennen. Dann spüre bzw. weiß ich ganz genau, was jetzt „dran“ ist. Sportler kennen diesen Zustand, wenn ich z.B. aufs Tor zulaufe und anfange, darüber nachzudenken, in welche Ecke ich schießen will – das ist dann die beste Methode, um ins Stolpern zu kommen.

Konflikte sind oft Konkurrenzen zwischen Gedanken. Soll ich das oder jenes tun, ist doch oft das Dilemma bei Entscheidungen. Und wie ich auch immer entscheide, ich kreiere das Gefühl von Verlust.

Dabei vergesse ich, dass Gedanken nicht die Wirklichkeit selbst sind. Oder wie die Zen-Leute sagen:“ das Essen der Speisekarte macht nicht satt“. So wie die Speisekarte nicht das Essen ist, sind Gedanken auch nur die Reflektionen über die Wirklichkeit ( in vielen Schulen nennt man sie deshalb auch die zweite Wirklichkeit) und es macht für mich Sinn, sich an diesen Unterschied ab und zu zu erinnern.

Was ich oft als kleine Übung dazu nutze ist, mich selbst und die Welt wahrzunehmen, ohne die wahrgenommenen Aspekte zu verstehen bzw. verdinglichen, in dem ich sie in Begriffe kleide oder ihnen Namen gebe. Wie ein Kind etwas zu sehen, fassungslos zu bleiben und neugierig und offen. Wirkliche Wahrnehmung geht auch über das (Wieder)Erkennen von Bekanntem hinaus. Ich bezeichne wirkliche Wahrnehmung gern als das Schauen auf das Mysterium, das Geheimnisvolle. Das Ziel ist, sich zu öffnen, etwas wahrzunehmen, was ich scheinbar nicht kenne. Das erlebe ich als sehr schöpferischen Zustand.

Alles im allem glaube ich, dass eine solche Bewegungsrichtung hin zu einem Leben ohne Entscheidungen führen kann. Oder wie eingangs Sabine meinte: „ja, dann macht man das einfach so“!

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