Die unvollkommene Seite des Selbst

In der Beratung, im Coaching erlebe ich es immer wieder, dass meine Gesprächspartner mit Zuständen wie Verzweiflung, Hilflosigkeit, Ohnmacht, Verwundbarkeit, Leid und Angst eher nicht zustimmend und akzeptierend umgehen können. Das Selbst, das erlebt, das sich hilflos fühlt und leidet – wird oft regelrecht (das Wort passt) gehasst und abgelehnt. 

Warum werden diese Qualitäten so gefürchtet bzw. abgelehnt? Meist sind die Referenzerfahrung (wie und wo habe ich z.B. Hilflosigkeit gelernt) mit Abwehr belegt, oft auch wird Hilflosigkeit usw. mit dem Verlust des Selbst gleich gesetzt oder mindestens mit einer Art Selbstabwertung. Gleichzeitig sind diese Qualitäten oft auch mit der Erfahrung von Unterdrückung verbunden und so werden sie gern (auf vielen Ebenen – meist gegen mich – instrumentalisiert). 

Die polaren Aspekte dazu sind oft der Versuch eines Ausgleichs, jedoch in sich (weil zu einer Art Angstabwehr degeneriert) hohl und vergleichsweise ebenso „schwach“ wie die unbeliebten Zustände an sich. Macht über andere, Überlegenheit, Herrschaft, Erfolg und Eroberung sind dann bewährte „Mittel“, um der Angst vorzubeugen, was natürlich nicht geht … 

Man(n) fühlt sich dann eher sicher und vollkommen, wenn wir etwas oder jemanden kontrollieren, das Kommando übernehmen und entsprechenden Besitz vorweisen können. Der Weg in die bedingte Liebe … ich brauche dich für … ist vorprogrammiert. Der Autor Arno Grün nennt das „die Lüge der Macht“, verbunden mit dem Image von (Pseudo)Stärke. Verachtung und Ablehnung, Distanz sind u.a. der Preis dafür.  Was könnten wir tun? 

  1. Die o.a. Qualitäten als solche akzeptieren (ohne Kompetenz zur Hilflosigkeit kein …?) 

  2. Akzeptieren, dass wir auf andere angewesen sind (Prinzip der Interdependenz). 

  3. Begreifen, dass wir Einfluss haben, der jedoch begrenzt ist. 

  4. (Größere) Kräfte außerhalb unserer zu akzeptieren. 

  5. Die Fantasie der Grandiosität ablegen (und 1 zelebrieren). 

  6. Auf Beherrschung und Unterdrückung (anderer und seiner selbst) zu verzichten. 

  7. Aufhören, andere grundsätzlich für mein Leid verantwortlich zu machen. 

  8. Autorität (ohne Selbstaufgabe) zu akzeptieren. 

  9. Auch auf indirekte „Machtgelüste“ z.B. durch Unterwürfigkeit zu verzichten. 

  10. Das Prinzip der primären Ebenbürtigkeit leben. 

  11. Beim eigenen Leid bleiben (ist die Voraussetzung für lösendes Wachsen). 

  12. Wut als Hinweis nutzen. 

Herzlichst 

Jürgen Weist 

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