Ist Veränderung immer mit Leiden verbunden?

So oder so ähnlich tauchte gestern in einem Coaching-ProFit-Tag bei einigen TeilnehmernInnen die Frage auf, nachdem sie zwei Coachingprozesse erlebt hatten, die durchaus bei allererster Betrachtung „problemorientiert“ die Schwere, das Nichtwissen und Dramatik der jeweiligen aktuelllen Situation beleuchteten.

Dazu möchte ich heute kurz ganz persönlich ein paar Worte verlieren. Natürlich ist Veränderung nicht immer mit Leiden verbunden. Das wäre natürlich Quatsch. Und doch … vielleicht könnte man es so sagen, ist Leid so etwas wie die Zwillingsschwester der Freude. Und bei vielen (auch bei mir immer noch ein bisschen) haben wir lieber die eine als die andere zu Besuch, oder? Möglicherweise ist das der ganz menschliche Versuch eher Angenehmes als Unangenehmes zu erleben. Also ganz verständlich.

Nach meinen Erfahrungen ist es aber so, dass es die Schwestern nur im Doppelpack gibt und das, was sich über die Ablehnung der einen oft ganz subtil ins Leben einschleicht, ist, das weder die eine noch die andere zu Besuch kommen oder sie nur noch kürzere Zeit vorbeischauen und während wir öfter die Freude einladen, von den beiden zurückkommt, das nur das Leiden im Moment Zeit habe und mal gern vorbeikäme.
Okay, dann lieber gar nicht …  ist dann oft unsere Reaktion auf diese Besuchsankündigung. Wir verschließen uns, haben (zu Recht) Angst, tun so als wären wir nicht da, wenn es klingelt und genießen erst einmal die Sicherheit der Mauern unseres Zuhauses.

Dort warten wir dann, irgendwie schon sicher, aber irgendwann auch gelangweilt und wünschen uns dann im Laufe der Zeit immer sehnsüchtiger, dass die Freude zu uns käme. Wir lesen dann Bücher über: wie lade ich Leid aus und nur Freude ein, hören Vorträge über freudvolles Leben usw.
Meines Erachtens sind das alles Versuche, an dem einem vorbei direkt zum anderen zu kommen. Die japanischen Samurai sagen so treffend: Der Weg nach Hause führt nur über das Schlachtfeld. Zugeben eine etwas kämpferische Metapher. Aber sie ist überaus deutlich. Es gibt keinen Ausweg, kein Drumherum, letztlich kein Ausweichen, nur Verharren oder Bewegen. Gehen oder Bleiben.

Um am Anfgang zu enden und die obige Frage (aus meiner Sicht und Erfahrung) zu beantworten. Notwendige Veränderung ist zu Beginn ganz oft mit Leid verbunden. Deshalb kommen auch viel mehr Menschen deshalb ins Coaching oder Beratung. Einfach, weil sie aktuell leiden … es sind Ausnahmefälle, wo jemand lachend und freudvoll zu mir kommt und sagt, er käme wegen noch mehr Freude usw.
 
Normalerweise ist da im Vordergrund ein Teil von uns, der schon lange darauf wartet, erlöst zu werden und sich wieder in Freude zu verwandeln. In den Märchen ist es der Frosch (die goldene Kugel in der Hand haltend), der geküsst werden will. Und zwar als ekliger, schleimiger Frosch … nicht als angenehm duftende und schöne Prinzessin oder Prinz.

Als es mir mehr und mehr gelangt, so auf das angebliche „Leiden“ meiner Klienten zu schauen, habe ich immer öfter Leiden und Freude verwechselt, verstand ich immer mehr, das der Raum für das eine auch den Raum für das andere öffnet und das es vielleicht darum geht, beiden Schwestern ihren Platz im Hin und Her des Lebens zu geben.
Nach meiner Lebenserfahrung heißt das gar nicht, das man immer leiden muss, um auch Freude zu erfahren. Manchmal reicht es, wenn ich dem Leid meine Ehre erweise, ihm auch einen Platz in meinem Herzen gebe, es dann spürt, dass es angenommen ist. Dann kommt genau das zu mir, was im Leben dran ist – und was nur zu mir gelangen kann, wenn ich „offen“ dafür bin …

In diesem an Freude leidenden Sinne …
Ihr
Jürgen Weist
P.s. Ich bin jetzt für ein paar Tage zum Coachen auf Mallorca und mein nächster Eintrag erscheint deshalb Ende Mai. Danke fürs Reinschauen … und bis bald.

*Ein Kommentar

One Response to “Ist Veränderung immer mit Leiden verbunden?”

  1. rsb
    Mai 26th, 2007 | 19:23

    Jetzt ist es zwa schon ein paar Tage her, aber ich möchte dennoch einen Kommentar dazu abgeben. „Ist Veränderung immer mit Leiden verbunden?“, direkt nach dem „Profit-Tag“ hätte ich spontan „ja“ gesagt. Aber irgendwie hat mir der Gedanke nicht gefallen und mich länger beschäftigt. Nur durch leiden Veränderung? Nein, das gefielt mir nicht und ich habe nach Gegenbeispielen in meiner Erfahrung gesucht. Klar, dass man vor oder nach einer Veränderung ganz schön leiden kann, das kenne ich nur zu gut. Und auf so eine Art Leiden habe ich im Moment überhaupt keine Lust, wohl aber auf Veränderung und Fortschritt. Glücklicherweise habe ich aber auch Situationen erlebt, wo es anders war, wo ich mich auf die Veränderung gefreut habe und sie mit Spannung erwartet habe. Aber da habe ich vielleicht auch schon genau gewußt, was kommen wird und was damit verbunden ist. Dennoch denke ich, dass Leiden nicht nur die Zwillingsschwester von Freude ist, sondern höchstens eine der Möglichkeiten die eintreten können in der Spanne zwischen Leiden und Freude. Mal treten sie abwechselnd, vielleicht sogar gleichzeitig oder eben nur alleine, jeder Zustand für sich isoliert auf. Alleiin die Erfahrung, dasss Veränderungen Verbesserungen, Verschönerungen und Erfüllung sein können, kann mich immer wieder veranlassen, mehr davon zu wollen. Auf immr neuen Gebieten und in neuen Varianten. Da muss kein Leiden im Vordergrund stehen, da kann auch Entdeckerlust und Tatendrang als Motivation dahinter stehen. Die Vision von etwas, das verschönert perfektioniert oder erweitert werden könnte. Und unter diesem Blickwinkel sehe ich Veränderungen sehr sehr gerne. Neben dem Leidensdruck könnte also als weitere Motivation zur Veränderung die Freude auf etwas Neues stehen.
    Insofern schliesse ich jetzt in freudiger Erwartung auf meine nächste (grössere) Veränderung.

    Rita

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