Im Alltag wesentlich sein …

Die letzten Tage waren merkwürdig (im Sinne würdig, sich zu merken). So wie ich gestern jemanden, entließ mich heute mein Mentor aus der Beziehung und meinte trocken: „Im Moment kann ich nichts mehr für dich tun …“ (Danke Volker …). Ein Wochenthema scheint das „Entlassen“ zu sein …

Das erinnert mich an den letzten Sonntag, wo Teilnehmer am Coachingseminar gegen Ende der Ausbildung folgende Idee formulierten: Hier im geschützten Probierrahmen der Ausbildung konnten und können wir viel von uns entdecken, doch zurück im Alltag, da zehrt er an uns und meist fallen wir relativ schnell zurück in alte Muster, wollen andere, das wir „normal“ sind.

Stimmt und doch braucht es nicht so zu sein. Dieses Thema habe ich schon des Öfteren berührt. Inhaltlich findet man dazu etwas bei Werner Lind (Budo S.25 f.) Thema „Weg und Reife“ und natürlich beim Zenmeister Graf Dürckheim (Vom doppelten Ursprung des Menschen).

Die Anforderungen des Alltags einerseits und die Strebung des Wesens in uns in Balance zu bringen ist Kunst, ja Lebenskunst. Leicht und doch nicht einfach, wie ich so gern formuliere.
Dürckheim nennt das, wie bringe ich den Jürgen durch den Weist. Lind schreibt vom Übereinbringen des Lebenssinns und dem Erwerb von Lebensmitteln.

Einerseits sind wir Form, Mensch, mit seinen körperlichen Bedürfnissen und Trieben und anderseits Seele, die nach Vollendung strebt. Diese Beidhaftigkeit anzunehmen und in Übereinklang von Form und Formlosigkeit kultiviert zu leben scheint für mich ein hohes Lebensziel zu sein. Wie kann ich im Alltag im ganz alltäglichen Tun das Wesentliche durchschimmern lassen? Wesentlich sein im Tun … beim Essen, Gehen, letztlich allem … immer mehr. Zunehmende Transzendenz …

Verwies mich doch mein Mentor im Abschlussgespräch auf das Buch von Shunryu Suzuki „Zengeist – Anfängergeist“. Immer im Beginnen begriffen sein …

Jeden Tag, jeden Moment aufs Neue … (wie Khalil Gibran meint) achtsam im Tempel seines Lebens dasein.

In diesem Sinne ein sonniges Wochenende …

Herzlichst

Jürgen Weist

P.s. Und wie immer ist Ihre Nachricht als Mail oder Kommentar herzlich willkommen.

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Drei verschiedene Ebenen des Bewusstseins

In meiner Fantasie wird das, was ich jetzt schreibe für manche ziemlich banal klingen, für andere wiederum wird es möglicherweise unverständlich klingen …

Wenn ich auf meine Entwicklung reflektierend schaue und das dazu nehme, was mir in der Begleitung anderer bewusst geworden ist, dann möchte ich Ihnen heute (modellhaft) drei Arten des Denkens, Verstehens oder besser gesagt des Bewusstseins beschreiben.

Ebene 1: unser reflektiver Verstand: das Bewusstsein, mit dem man (nach der Wahrnehmungspsychologie) ungefähr 5 Bit/Sek. Wahrnehmen kann. Diese wunderbare Funktion, die im Laufe unserer menschlichen Entwicklung entstanden ist. Dabei ist es gut zu wissen, dass das Unbewusste (als Modell) ungefähr 200.000 Bit/Sek. verarbeitet. Das heißt der bewusste (reflektierte) Teil unserer Wahrnehmung ist superschmal im Vergleich zum Informationsangebot der Umwelt an uns (3-5. Mio. Bit Sek.). Und was die wenigsten wissen, was wir wahrnehmen ist sogar zweitversetzt (ca. 0,7 Sek- nach B. Libet), obwohl unser Gehirn es uns als jetzt vermittelt. Also das bewusste Wahrnehmen bezieht sich auf einen sehr begrenzten Ausschnitt und bereits vergangenen Teil der Wirklichkeit.

Interessant wird das Ganze, wenn wir uns einbilden, das sei unsere ganze Wirklichkeit. Wenn wir uns damit identifizieren und meinen das bin ich. Kognito ergo sum – ich denke, also bin ich. Aber wir sind viel viel mehr als nur das Denken oder bewusste Wahrnehmen.
Ich glaube Willigis Jäger hat mal gesagt, dies sei wie, als wenn der Hausmeister sich als Hausbesitzer aufführen würde. Gleichzeitig ist es die Ebene ist, von der ich glaube, dass die meisten Menschen in ihr leben. Da Unterscheidung die Grundfunktion der Wahrnehmung ist, ist diese Ebene auch durch Dualität geprägt. Sprich diese Ebene trennt … gut von böse, schwarz von weiß usw … (vorherrschender Zustand: Spannung=Angst).

Ebene 2: Wenn der Verstand (z.B. anhand der obigen Daten usw.) sich selbst (uns seine Begrenztheit) begreift, dann entsteht (bewusst) eine Art transpersonaler Orientierung. Diese Orientierung ist natürlich immer da, doch spätestens jetzt wird sie bewusst(er) erlebt. Es geht dabei um einen Bezug zu einem größeren Bezugssystem (nenne ich es Gott, die Natur, das Leben usw.). Hier geht es (mir) um ein Gefühl von Eingebettetsein (Vertrauen) in etwas mich Überragendes. Das Ich versteht sich als Leben innerhalb von Leben. Die Trennung löst sich auf … (vorherrschender Zustand: Mitgefühl).

Ebene 3: Einheit: Ich begreife mein (ureigenstes) tiefes Wesen als etwas, das auch in jedem anderen (anderen Aspekten der Welt) ist. Jede Begegnung wird zur Selbstbegegnung. Denken und Sprechen, Handeln (die sich auf Ebene 2 schon verändern) sind äußerlich gleich und doch ist Qualität (Wirkung) oft ganz anders wie z.B. auf Ebene 1. Es ist eher eine innere Wandlung (vorherrschender Zustand: Liebe).

Natürlich könnte man (ich) zu jeder Ebene viel viel mehr schreiben, aber darum geht es mir heute nicht. Lust habe ich eine Art Entwicklungslinie darzustellen, in der sogar Ebene 1 eine wichtige Qualität darstellt. Meine Lieblingsmetapher ist die des „verlorenen Sohnes“, der irgendwann heimkehrt. Aber wie will man heimkehren, wenn man das Heim nie verlassen hat … Selbst im Buddhismus endet die Reise wieder auf dem Marktplatz. Man kommt wieder da an, wo man gestartet ist, nur anders …

In diesem Sinne wünsche ich Ihnen ein gutes Unterwegs-Sein

Herzlichst

Jürgen Weist

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Horizontales und vertikales Leben – das eigene Leben „vertiefen“ …

Ich glaube das folgende Zitat stammt von Ferdinand Lasalle: „Du kannst dein Leben nicht verlängern, du kannst es nur vertiefen.“

Auch Ken Wilber spricht in einem seiner Texte von dem zweidimensionalen Bewusstsein, das er Flachlandbewusstsein nennt. Das als Einstieg …

Als horizontale Ebene möchte ich Aspekte wie Tun, Aktion, Formen, proaktiv sein bezeichnen; als vertikale Achse: Sein, Leere, passieren lassen usw.

Ich bemerke bei mir selbst und vielen anderen Menschen immer wieder die Tendenz überwiegend (oder doch fast ausschließlich?) auf der horizontalen Ebene ihr Leben zu fristen.
Probleme (Formen) müssen angegangen umgestaltet usw. werden, Aktiv sein ist über seinen eigentlichen Wert hinaus in unserer Gesellschaft manchmal schon krankhaft (nicht umsonst sind Stress und Depressionen nach Herzkrankheiten inzwischen der zweithäufigste Grund, um vorzeitig in Rente zu gehen).

Aber wie hat mal ein indischer Weiser gesagt: „Die Lösung liegt nie in der Form, sondern in der Formlosigkeit.“

Ich saß also letztens im Zug nach Hamburg und dachte, ach ich könnte die Zeit doch jetzt einfach nutzen und meditieren, Atemübungen oder sonst was machen. Machen … nutzen … müssen. Da war es wieder …

Ich bin dann schließlich nur sitzen geblieben. „Geistes-gegenwärtig“ und habe wahrgenommen, wie ich mir geschehe. Einfach sein, meine eigene Lebendigkeit spüren, annehmend, was auftaucht, mit-und fortgehen, fließen … ohne Worte, Gedanken …

Das erinnert mich an einen Spruch aus der Jugend: wenn ein Anfall von Arbeitswut kommt, dann still hinsetzen und warten, bis er vorbei ist …

So banal es klingt, es ist „VIEL“ im eigenen „Körper“ zu leben. Es ist meines Erachtens die Voraussetzung, um beseelt zu sein. In der Bibel fand mich das folgende Zitat (1 Kor. 6,19):“ Wisst ihr nicht, dass euer Leib ein Tempel des Heiligen Geistes ist?“
Egal wie man Körper und Leib definiert, es ist auf jeden Fall Form. Und dieser Form gefällt es, sich des eigenen Ursprungs, der Formlosigkeit zu erinnern. Es ist ein bisschen, wie nach Hause kommen.

Nehmen Sie als Einladung vor oder nach Pfingsten zu meditieren, einfach in der Sonne zu sitzen, sinnvoll zu verweilen und sich selbst zutiefst zu berühren.

Das, so glaube ich, ist es unter anderem , was ihrem Leben Tiefe verleiht …

In diesem Sinne …

Herzlichst

Jürgen Weist

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Sich selbst folgen …

Im Nachklang unseres letzten Berufsseminares habe ich den Teilnehmern ein Buch des amerikanischen Psychologen James Hillman empfohlen. James Hillman (Begründer der so genannten Schicksalspsychologie) beschreibt in seinem Buch Charakter und Bestimmung seine Hypothesen zu diesen Themen aus (für mich) meist archetypischer Sicht. Nach meinem Geschmack (ohne es genau zu wissen) müsste er ein Schüler C.G. Jungs gewesen sein.

Er beschreibt in diesem Buch die von ihm so bezeichnete „Eicheltheorie“ (S. 62f.) wie folgt (Zitat Anfang): … Sie vertritt die These, dass jedes Leben durch sein angeborenes Bild geformt wird, ein Bild, das die Essenz dieses Lebens ist und es zu seinem Schicksal ruft. In seiner Gestalt als Schicksalskraft wirkt dieses Bild als persönlicher Daimon, ein begleitender Führer, der sich an unsere Berufung erinnert.

(Anmerkung: Hillmann benutzt dabei die Mythen des römischen Genius, des griechischen Daimons oder christlichen Schutzengels fast synonym als Beschreibung einer seelischen Instanz, die uns auf unserem Weg begleitet und diesen auch anmahnt).

Weiter im Text: … Die Mahnungen des Daimons treten auf vielerlei Art zutage. Der Daimon motiviert. Er beschützt. Er widersteht der sich anpassenden Vernunft und zwingt seinen Träger oft abweichendes Verhalten und Merkwürdigkeiten auf, vor allem, wenn er vernachlässigt wird oder man sich ihm entgegenstellt … Er ist fähig, den Körper krank zu machen … Der Daimon ist vorauswissend – vielleicht nicht in Bezug auf Details … Sein Vorauswissen ist begrenzt auf den Sinn des Lebens, in dem er sich verkörpert hat.

Er hat viel zu tun mit Gefühlen der Einzigartigkeit, der Großartigkeit und mit der Ruhelosigkeit des Herzens, seiner Ungeduld, seiner Unzufriedenheit, seinen Sehnsüchten. Er braucht seinen Anteil an der Schönheit. Er will gesehen werden, bezeugt und anerkannt werden, vor allem von der Person, mit der er verbunden ist … (Zitat Ende).

Nicht alles, aber vieles von dem, was Hillman dort beschreibt, berührt mich auf eine merkwürdige Weise. Manchmal nicke ich wissend, ohne (kognitiv) zu verstehen.

Vielleicht geht es Ihnen beim Lesen des Textes ja ähnlich oder doch ganz anders. Ich freue mich – wie üblich – auf Ihre Kommentare und Meinungen.

Herzlichst

Jürgen Weist

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